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Im Rahmen der Neuedition Kadares im Zürcher Ammann
Verlag ist in der gewohnt hochklassigen Übertragung Joachim Röhms der
tragikomische Roman "Das verflixte Jahr" erschienen. Der Erste Weltkrieg
steht kurz bevor. In Albanien herrschen, resultierend aus den divergierenden
Interessen der Großmächte, wieder einmal Chaos und Gewalt. Während der
bizarren, lediglich 184 Tage dauernden Regentschaft des deutschen Prinzen
Wilhelm zu Wied als Fürst von Albanien ziehen osmanische, österreichische,
griechische, französische, italienische und holländische Truppen durch das
kleine Land, das aus allen Nähten platzt. Eine Gruppe skurriler albanischer
Freischärler ohne jegliche Kampferfahrung gerät auf gespenstische Weise
zwischen die Fronten und entlarvt Krieg und Politik als blutige Farce.
Einzig die klugen Ägypter, so nennen sich die albanischen Roma, deren
Vorfahren zur Zeit Alexanders angeblich vom Nil auf den Balkan eingewandert
waren, verweigern sich. Von allen Liedern, die man im Roman zu hören
bekommt, singen sie die schönsten: "Wer sterben will, soll keine Zeit
vergeuden. Doch uns behagt's, wo Hochzeitsglocken läuten.
Matthias Schnitzler in der "Berliner Zeitung"
Das Material zu vielen seiner Bücher hat Ismail Kadare aus der
albanischen Vergangenheit geschöpft, doch der über Anachronismen und
vermeintliche Ungereimtheiten stolpernde Leser erkennt rasch, daß er es
nicht mit historischen Romanen zu tun hat. Bezeugte Ereignisse und Gestalten
dienen Kadare nur als Versatzstücke, die er in einem virtuellen zeitlichen
und geographischen Raum mit fiktiven Elementen kombiniert, um Urmuster des
menschlichen Seins aufzuzeigen, zur Nahtstelle von Wirklichkeit und Mythos
vorzudringen, und im Osmanischen Reich fand er den Superstaat schlechthin,
den überzeitlichen Prototyp einer totalitären Macht, der es ihm erlaubte,
sich unter den scharfen Augen der Zensurbehörde mit dem herrschenden
kommunistischen System auseinanderzusetzen. In seinem 1985 entstandenen
Roman „Das verflixte Jahr” über die nur 184 Tage währende Regentschaft des
deutschen Prinzen Wilhelm zu Wied als Fürst von Albanien bleibt Ismail
Kadare näher an den gesicherten Tatsachen als in anderen Büchern. Zwar ist
auf ein paar Monate zusammengezogen, was sich in Wahrheit im Verlauf
mehrerer Jahre ereignete, und neben den echten Protagonisten begegnen wir
zahlreichen Gestalten, die wir in den Geschichtsbüchern vergeblich suchen
würden, doch was die Wechselbeziehungen zwischen den politischen und
gesellschaftlichen Kräften sowie das Zeitkolorit anbelangt, liefert der
Roman ein sehr genaues Bild vom damaligen Albanien. Die vom Osmanischen
Reich hinterlassenen ethnischen und religiösen Spannungen auf dem Balkan,
die in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit einem Flickenteppich von
Staaten verhüllt wurden, haben sich im letzten Jahrzehnt des vergangenen
Jahrtausends in blutigen Bruder- und Nachbarschaftskriegen entladen, und es
steht zu befürchten, daß nicht nur Albanien, sondern die ganze Halbinsel
noch geraume Zeit unter den Folgen zu leiden haben wird. Kadares Roman, der
uns die bis heute nachwirkenden Ereignisse auf dem Balkan zu Beginn des 20.
Jahrhunderts als tragikomisches Panoptikum präsentiert, hat außerhalb der
Grenzen Albaniens leider weniger Resonanz gefunden, als er verdienen würde.
Aus dem Nachwort von Joachim Röhm
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