Albanische Literatur in deutscher Übersetzung

     
 

Anschauungen vom literarischen Übersetzen

Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. [...] Im ersten Falle nämlich ist der Uebersezer bemüht, durch seine Arbeit dem Leser das Verstehen der Ursprache, das ihm fehlt, zu ersezen. Das nämliche Bild, den nämlichen Eindrukk, welchen er selbst durch die Kenntniß der Ursprache von dem Werke, wie es ist, gewonnen, sucht er den Lesern mitzutheilen, und sie also an seine ihnen eigentlich fremde Stelle hinzubewegen. Wenn aber die Uebersezung ihren römischen Autor zum Beispiel reden lassen will wie er als Deutscher zu Deutschen würde geredet und geschrieben haben: so bewegt sie den Autor nicht etwa nur eben so bis an die Stelle des Uebersezers, denn auch dem redet er nicht deutsch, sondern römisch, vielmehr rükkt sie ihn unmittelbar in die Welt der deutschen Leser hinein, und verwandelt ihn in ihres gleichen; und dies ist eben der andere Fall.

[...]

Ja, was will man einwenden, wenn ein Uebersezer dem Leser sagt, Hier bringe ich dir das Buch, wie der Mann es geschrieben haben würde, wenn er es deutsch geschrieben haben würde; und der Leser ihm antwortet, Ich bin dir eben so verbunden, als ob du mir des Mannes Bild gebracht hättest, wie er aussehen würde, wenn seine Mutter ihn mit einem anderen Vater erzeugt hätte? Denn wenn von Werken, die in einem höheren Sinne der Wissenschaft und Kunst angehören, der eigenthümliche Geist des Verfassers die Mutter ist: so ist seine vaterländische Sprache der Vater dazu.

Friedrich Schleiermacher

Hier wird das Über setzen zu einem Über setzen an das andere Ufer, das kaum bekannt ist und jenseits eines breiten Stromes liegt. Da gibt es leicht eine Irrfahrt und zumeist endet sie mit einem Schiffbruch.

Martin Heidegger

Übersetzer sind verwegene Kämpfer, die den Turm von Babel angreifen.

Albert Camus

Europa ist ein Übersetzungsprodukt, wie auch die verschiedenen Regionalkulturen Europas Übersetzungsprodukte sind. Wenn man eine westliche Kulturgeschichte aufschlägt, findet man Epocheneinteilungen wie: griechische Antike, römische Antike, Mittelalter, Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, Realismus usw. bis zur Postoder gar Post-Post-Moderne. Alle diese Epochen haben immer Eines gemeinsam: Am Anfang stehen literarische oder jedenfalls ästhetische Übernahmen, Übertragungen, Übersetzungen, Nachahmungen, Entdeckungen älterer oder fremder Vorbilder. Im Namen Renaissance ist das am wörtlichsten ausgedrückt: Die Wiedergeburt der Antike war ein Rückgriff auf die Texte der Antike. Aber der Name Renaissance könnte im Grunde für jede Epoche verwendet werden, wenn auch mit jeweils modifiziertem Inhalt. Jede Epoche konstruiert ihre Vergangenheit neu, wobei ältere Texte neu übersetzt und interpretiert werden oder neue Texte fremder Kulturen kanonisiert werden - die Bibel, die antiken Philosophen, die französischen Klassiker, Shakespeare, Calderon, Dante usw. Historisch gesehen nähren sich die europäischen nationalen Kulturen parasitär - bzw. intertextuell oder interkulturell - von den übersetzten Fremdkulturen. Praktisch alles Eigene war einmal ein Fremdes. Fast jede kulturelle Ursprünglichkeit ist eine Nachahmung. Die in der Vergangenheit (ich behaupte das nicht über die Gegenwart!) aufnahmebereiteste Sprache und Kultur - die englisch-amerikanische - ist eben genau durch ihre Aufnahmebereitschaft zur modernen Weltsprache geworden. Die historische Rolle der Literaturübersetzer besteht also darin, dass sie immer an kleinen oder großen Renaissancen beteiligt sind. Man könnte sogar noch weitergehen und sagen: Jede gute literarische Übersetzung ist die Wiedergeburt eines Schriftstellers.

Rainer Kohlmayer: Literarisches Übersetzen - Die Stimme im Text

man mus die mutter jhm hause/ die kinder auff der gassen/ den gemeinen mann auff dem marckt drumb fragen/ und den selbigen auff das maul sehen/ wie sie reden/ und darnach dolmetzschen/ so verstehen sie es den/ und mercken/ das man Deutsch mit jn redet.

Martin Luther

Umberto Eco hat aus literaturwissenschaftlicher Sicht darauf hingewiesen, daß Texte grundsätzlich unvollständig sind und die Mitarbeit des Lesers (oder Zuhörers) voraussetzen: Der Leser, so Eco, entnimmt nämlich dem Text nicht nur, was er sagt, sondern auch das, was er nicht sagt, und seine Mitarbeit besteht darin, die Leerräume des Textes aufzufüllen. Das ist der Grund dafür, daß eine Übersetzung gerade nicht wortgetreu sein darf, wenn sie den Sinn eines Textes angemessen wiedergeben will - denn sie muß die vielfältigen Konnotationen der jeweiligen Sprachen und das zugrundeliegende Universum des Nicht-Gesagten in Rechnung stellen, wenn sie dem Original dem Sinn nach angemessen sein will.

Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung.

Meyer: Sie haben diesen Festvortrag hier gehalten zum Geburtstag des Deutschen Übersetzerfonds und Sie haben diesen Vortrag "Übersetzen als Verhandeln" genannt. Das leuchtet einem ja nicht auf den ersten Blick ein. Was bedeutet "Übersetzen als Verhandeln"?

Eco: Was bedeutet Verhandlung? Nehmen wir mal an, wir sitzen einander gegenüber, Sie wollen alles von mir, ich will alles von Ihnen, so geht es nicht, jeder muss etwas aufgeben, und das ist der Prozess der Verhandlung. Und genau dieses geschieht auch beim Vorgang des Übersetzens. Es ist unmöglich, die Aussage des Originals eins zu eins in der anderen Sprache wiederzugeben, also muss man Entscheidungen treffen. Etwas wird verloren, aber es ist auch durchaus möglich, dass man etwas hinzugewinnt bei diesem Vorgang, und vor diesem Prozess steht eben der Übersetzer. Er muss aushandeln, was jetzt wirklich wichtig bei einem gegebenen Text ist und was auch in jedem Fall gesichert werden muss.

Nehmen wir einmal an, es sei der Rhythmus oder das Versmaß bei einer Dichtung, dann wird er sich eben bemühen, genau dieses beizubehalten, das ihm als das Wichtigste erscheint, und er wird dabei auch einiges vom wörtlichen Sinn des Textes mit transportieren. Ich mache immer wieder das folgende Beispiel: Nehmen wir an, in einem Roman macht ein Dummkopf irgendeinen zotigen Witz. Dann muss man nicht genau diesen Witz, der unübersetzbar ist, in der Zielsprache wiedergeben, es genügt, einfach selbst irgendeinen anderen Witz zu erfinden, denn man will ja nur wiedergeben, dass dieser Mensch ein Blödel ist und dass er hier einen blöden Witz macht. Das genügt dann vollkommen für diese Zwecke.

Meyer: Wenn Sie sagen, eine Übersetzung muss relativ frei umgehen mit dem Original und kann es vielleicht sogar übertreffen an bestimmten Punkten - würden Sie tatsächlich sagen, eine Übersetzung kann vielleicht in manchen Fällen auch besser sein als das Original, und können Sie sich das auch für Ihre eigenen Bücher dann vorstellen?

Eco: Das kann durchaus geschehen. So mancher hat ja gesagt, dass einige der Übersetzungen meiner Bücher sogar besser seien als das Original. Nun gut, es kann passieren, aber die Übersetzung darf nicht sehr bedeutend schöner als das Original sein. Ich habe in meinem Leben auch einige wenige Bücher übersetzt, habe aber jedem Buch einige Jahre Arbeit gewidmet, so habe ich etwa "Sylvie" von Gérard de Nerval übersetzt, einem Autor, der einen recht beschränkten Wortschatz hat, der immer wieder dieselben Wörter verwendet. Für mich als Übersetzer wäre es ein Leichtes gewesen, hier Synonyme zu erfinden und dadurch den ganzen Text irgendwie flüssiger oder gefälliger zu machen - ich habe mich dessen enthalten, denn wenn Gérard de Nerval diese Wahl trifft, immer dasselbe Wort zu verwenden, dann wird es dafür Gründe geben, und die habe ich zu respektieren, also muss ich auch selbst dasselbe Wort verwenden.

Deutschlandradio. Umberto Eco im Gespräch mit Frank Meyer

Wichtige Beiträge leistete in den 1980er Jahren Professor Hans J. Vermeer vom Heidelberger Institut für Übersetzen und Dolmetschen. Mit seinem funktionsorientierten Ansatz, der "Skopostheorie", legt er den Schwerpunkt auf das Ziel (griechisch skopos) des translatorischen Handelns und auf den Translator als Experten, der für das optimale Erreichen dieses Ziels verantwortlich ist. Dieser Translator muss Experte für die Ausgangs- und Zielkultur und damit die interkulturelle Kommunikation sein. Sprachbarrieren sind auch Verständnis-, Wissens- und Kulturbarrieren, die durch die Translation von kulturellen Kontexten überwunden werden können. Betrachtet man den Text als verbalisierten Teil einer Soziokultur, dann bedeutet übersetzen, den Text einer Ausgangskultur in eine kulturell andere Zielkultur zu übertragen, also neu zu gestalten. Das kulturhistorische Einbetten kultureller Besonderheiten in interkulturelle Kontexte ist die Voraussetzung für das Überbrücken kommunikativer Lücken durch Translation. Das Verstehen und Übertragen eines Textes bedeutet neben dem Begreifen von Worten und Strukturen auch, das Gemeinte als Teil einer Soziokultur zu erfassen. "Die Wörter sind richtig übersetzt, die Worte gehen darüber zugrunde", formulierte Hans Vermeer zu Beginn der 1980er Jahre. Das Erforschen und Vermitteln von Normen und Konventionen der Ziel- und Ausgangskultur sowie deren Vertextungsstrategien ist nicht etwa eine schmückende Beigabe der Übersetzung, sondern zentraler Bestandteil translationswissenschaftlicher Forschung und Lehre.

Jekatherina Lebedewa: Mit anderen Worten - Die vollkommene Übersetzung bleibt Utopie

Wir Übersetzer, die wir ständig aufs Neue unsere Stimme verstellen, um vor allem anderen unseren jeweiligen Autor reden zu lassen, wirken daher sehr im Verborgenen: Die meisten unserer Leser wissen gar nicht, wie oft sie etwas in Übersetzung lesen, also in der Sprachgestalt, die wir ihnen ohne dabei unseren Autor zu verraten möglichst mundgerecht gemacht haben. Und im Prinzip ist das auch gut so. Je weniger es beim Lesen auffällt, daß ein Text ursprünglich nicht auf deutsch geschrieben wurde, um so bessere Arbeit haben wir geleistet.

[...]

Fremdsprachenkenntnis allein genügt eben nicht, und Deutsch ist wie sich immer wieder zeigt keineswegs etwas, das jeder Deutsche automatisch kann. Sogar eine solide Erfahrung im Schreiben (täglichen Schreiben!) reicht nicht aus, so sehr sie in der Praxis auch hilft.

Denn beim Buch-Übersetzen kommt es vor allem darauf an, durch weit gestreute Lektüre und durch persönliche Kontakte ständig über den Sprach- und Bewußtseinsstand von mindestens zwei Kulturen auf dem laufenden zu sein, wenn man alle Feinheiten und Zwischent öne eines zu übersetzenden Textes begreifen oder doch wenigstens spüren will.

Danach erst beginnt die eigentliche Arbeit, nämlich mit diesen Kenntnissen (und nicht etwa mit Wörterbüchern) gewappnet vor der Schreibmaschine sitzenzubleiben und sich in kleinen Schritten, hunderte von Seiten lang, übersetzend durch ein Buch hindurchzuwühlen.

Das ist eine durchaus schöpferische oder wenigstens doch nachschöpferische Arbeit, bei der man selbst nach langjähriger Erfahrung nicht gleich auf Knopfdruck eine gute Lösung findet. Und vor allem eine Arbeit, die prinzipiell niemals richtig fertig wird. Denn wir kennen natürlich die im akademischen Elfenbeinturm gestrickten Beweise, daß eine vollkommen richtige Übersetzung niemals gelingen kann, weil irgend etwas aus der fremden Sprache in der unseren immer verlorengeht irgendein Reichtum dort, der bei uns im selben Sinnzusammenhang fehlt. Wir Übersetzer versuchen dann, diesen Reichtum anderswo im Text zu kompensieren: an den Stellen, wo die deutschen Sprachmöglichkeiten es anbieten und zulassen.

Aber da es eine endgültig richtige Übersetzung nicht gibt, weil eine Übersetzung schnell altert und jeder neue Bewußtseins-Zustand eine neue braucht, wissen wir auch, daß an unserer Arbeit immer noch etwas zu verbessern bleibt. Deshalb leiden wir kaum unter Konkurrenzneid, und schon gar nicht unter Autoreneitelkeit wir versuchen, gemeinsam dazuzulernen und uns gegenseitig auf die Sprünge zu helfen, so gut unsere knappe Freizeit es erlaubt.

Uns werden zwar immer wieder wohlklingende Sonntagsreden gewidmet (unsere Übersetzungen seien „Brücken zwischen den Völkern usw.). Aber sobald es dann hart auf hart, nämlich ums Übersetzen selber geht, finden wir uns auf uns selbst zurückverwiesen: Das, was man zum Buchübersetzen können muß, kann man an keinem Dolmetscherinstitut und schon gar nicht an Universitäten lernen, sondern nur in der Vielfalt der täglichen Praxis, der Arbeit am Text unter Zeitdruck, hunderte von Seiten lang.

Wir meinen nämlich, daß Sie, unsere Leser, in jedem Fall die bestmögliche Übersetzung verdient haben. Wenn Sie sie nicht kriegen, immer noch nicht, dann schlagen Sie sie bitte unseren Verlegern um die Ohren.

Klaus Birkenhauer: Mit verstellter Stimme - und im Verborgenen

 
 Autoren  

AHMETI, Lindita

AHMETI, Mimoza

ALIÇKA, Ylljet

ARAPI, Fatos

ARAPI, Lindita

BASHA, Eqrem

BELLIU, Ilir

ÇAPALIKU, Stefan

ÇOÇOLI, Gentian

ÇOLLAKU, Romeo

CUFAJ, Beqë

DUSHI, Ledia

GASHI, Mirko

GRAÇI, Virion

HATIBI, Ervin

 

KADARE, Ismail

KELMENDI, Migjen

KONGOLI, Fatos

KYÇYKU, Ardian

LEKA, Arian

 

LUBONJA, Fatos

MATOSHI, Halil

MEHMETI, Kim

MEKSI, Mira

MIGJENI

 

MUSTAFAJ, Besnik

NEZIRAJ, Jeton

PASHKU, Anton

PODRIMJA, Ali

QOSJA, Rexhep

 

RAPLYRICS

SHEHU, Bashkim

TUFA, Agron

VOLKSPOESIE

ZHITI, Visar

 
 

Wissenswertes über die albanische Sprache

Albaner oder Skipetaren?

Wer spricht Albanisch, und wo?

Woher kommt die albanische Sprache?

Das albanische Alphabet

Wörterbücher

Ausgewählte Literatur

 
Joachim Röhm (Foto)  

JOACHIM RÖHM

Geboren 1947 in Stuttgart. Germanistikstudium. Erwerb der albanischen Sprache und des Übersetzerhandwerks während eines Arbeitsaufenthalts  als Verlagsangestellter in der albanischen Hauptstadt Tirana von 1977-1980.

Nach der Rückkehr Tätigkeit als Übersetzer und Dolmetscher für Albanisch, seit 1990 freiberuflich mit dem Arbeitsschwerpunkt Literaturübersetzung.

(Weitere Informationen)

   

www.joachim-roehm.info

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